В. В. Гриценко (Смоленск); д-р соц наук, проф

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Gieler Wolfgang Universität Siegen Interkulturelle Kommunikation im Kontext des westlichen Ethnozentrismus
ÜBERWINDUNG DES WESTLICHEN ETHNOZENTRISMUS i INTERKULTURELLE KOMMUNIKATION
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Gieler Wolfgang

Universität Siegen

Interkulturelle Kommunikation
im Kontext des westlichen Ethnozentrismus


Bei der Interkulturellen Kommunikation geht es oft um die Wertorientierungen einer Kultur, die sich gemäß der Hypothese kommunikativ niederschlagen. Charakteristisch ist z.B. der bekannte Gegensatz zwischen der direkt geäußerten und dem als Frage formulierten Aufforderung.

a. Machen Sie das Fenster zu!

b. Könnten Sie bitte das Fenster zu machen!

Die beabsichtigte Wirkung ist die gleiche, die 2. Form erscheint uns «höflicher» Ein Versuch, den Unterschied in möglichst elementaren Begriffen zu beschreiben, könnte folgendermaßen aussehen:

a) Imperativ:

1. A will, dass X geschieht.

2. A will, dass B X tut.

3. A meint, das Recht zu haben, X von B zu verlangen.

4. A meint, die Macht zu haben, seinen Willen durchzusetzen.

5. Deshalb befiehlt A dem B...

b) Frageformulierung:

1. A will, dass X geschieht.

2. A will, dass B X tut.

3. A fragt B, ob es B möglich ist, X zu tun.

4. A nimmt an: B weiß, dass diese Frage «eigentlich» als Bitte gemeint ist.

5. A nimmt an, dass B diese Bitte erfüllen wird (wenn keine gewichtigen Gegengründe existieren).

Einander gegenüber stehen Recht / Macht vs. Frage (Bitte): Das erste Begriffspaar symbolisiert einen Eingriff in die «Autonomie der Persönlichkeit» / «Individualität» wodurch ein zentraler kulturelle Wert des «Westens» verletzt bzw. gefährdert wird.

Ein weiteres Beispiel für den Konnex zwischen unterschiedlichen kulturellen Wertorientierungen und «interkultureller Pragmatik» lieferte der Versuch, zu sozialistischer Zeit die Anrede wy («Ihr») in Polen nach russischem Vorbild einzuführen (statt des normalerweise gebräuchlichen Pan(i) «Herr / Dame» — indirekte Anrede, also z. B. «Könnte der Herr / die Dame bitte...»). Die Anrede «wy» «Ihr» sollte «unpersönliche Gleichheit, Distanz» zum Ausdruck bringen, war aber nach dem Empfinden der Polen kalt, unpersönlich, unhöflich: als Gegenkonzept zum familiären ty («Vertrautheit») erscheint nicht «Gleichheit» sondern der in der Anrede Pan, Pani zum Ausdruck kommende «Respekt» Teil der polnischen Kultur, umso mehr, als diese Anrede die Möglichkeit der geschlechtsspezifischen Differenzierung. Dahinter steht das noch vorhandene Bewusstsein einer «Adelskultur» (wenngleich de facto ohne «Adel»), die sich der angestrebten «Gleichschaltung» widersetzt. Als charakteristisch für diese Adelskultur gelten Respekt, Achtung der Sphäre des Anderen und insbesondere ein «höflicher» Umgang mit Frauen (etwa auch im — zumindestens bis vor kurzem gegenüber allen erwachsenen Frauen obligatorischen — Handkuss).

Die Interkulturelle Pragmatik betätigte sich lange Zeit in der Aufstellung von als universellen «Prinzipien» (von Kultur zu Kultur wurden allenfalls quantitative Differenzen erwartet). Als solche «Prinzipien der Höflichkeit galten etwa:

a) Vermeidung von Dominanz, Anerkennung des Anderen.

b) Herabsetzung des Anderen minimieren, die Anerkennung des Anderen maximieren; andererseits die Selbstbehauptung minimieren (vgl. dt. «Eigenlob stinkt»), dafür die «Herabsetzung» der eigenen Person maximieren.

c) Harmoniegebot: Minimum an Differenz, Maximum an Zustimmung».

Kritik? Westlicher (speziell angelsächsischer) «Ethnozentrismus» «Prinzipien» sind keineswegs universal, darüberhinaus gebrauchte Begriffe wie Direktheit / Indirektheit, Solidarität, Spontaneität, Aufrichtigkeit, soziale Harmonie, Herzlichkeit, Selbstbehauptung, Intimität usw. eher «impressio-nistisch» (wenig klar definierbar) und selbst wieder westlich-ethnozentrisch. Das die Vermeidung von Eigenlob ein interkulturelles Universale sei, dem wiederspricht etwa der Titel von Muhammed Alis Autobiographie: I'm tbe greatest

In Japan ist andererseits das Lob (ausgedrückte Anerkennung) des Anderen unerwünscht, gilt als arrogant und aufdringlich. Will oder muss ein Sprecher dies dennoch tun, wird er versuchen, es im Vorhinein abzuschwächen: «Ich weiß, dass es aufdringlich erscheint, wenn...» (vgl. dt.: «Ich verstehe ja eigentlich nichts davon, aber...»). Ebensowenig ist das Harmoniegebot universal: es gilt etwa in der jüdischen Kultur keineswegs. Auseinandersetzungen können vielmehr als Form der persönlichen Anteilnahme interpretiert werden, sie zu unterlassen als Ausdruck von persönlichem Desinteresse und Kälte.

Allgemeine Prinzipien

1. In unterschiedlichen Gesellschaften / Gemeinschaften interagieren Menschen sprachlich auf unterschiedliche Weise.

2. Diese Unterschiede in der Art der sprachlichen Interaktion sind tiefgreifend und systematisch.

3. Diese Unterschiede spiegeln unterschiedliche kulturelle Wertorientierungen oder zumindestens unterschiedliche Hierarchien von Wertorientierungen wieder.

4. Unterschiedliche Arten der sprachlichen Interaktion, unterschiedliche Kommunikationsstile können sinnfällig gemacht und erklärt werden durch unabhängig gesetzte Begriffe von unterschiedlichen kulturellen Werten und Prioritäten.

A. Wierzbicka hat den beachtenswerten Versuch unternommen, kulturell-pragmatische Divergenzen mit einer «natürlichen Metasprache» zu beschreiben, also mit einer einfach strukturierten Sprache, die nur elementare Konzepte wie Ich Du Jemand Etwas Dieses Tun Denken Sagen Wollen Wissen Gut Schlecht enthält und die «Übersetzung» von pragmatischem Verhalten in eine solche Sprache erlaubt, wodurch das Gemeinsame und die spezifischen Unterschiede herausgearbeitet werden können. Als «Fallbeispiel» soll hier das Problem der «Selbstbehauptung» ausgeführt werden.

Charakteristische Orientierungen:

«Japan»:

sage nicht:

ich will dieses / ich will dieses nicht

«Westen»

sage:

ich will dieses / ich will dieses nicht.

«Japan»:

sage nicht:

ich hätte gerne dieses / ich hätte gerne dieses nicht

«Westen»

sage:

ich hätte gerne dieses / ich hätte gerne dieses nicht

«Japan»:

sage nicht:

ich denke dieses / ich denke dieses nicht

«Westen»

sage:

ich denke dieses / ich denke dieses nicht

Die japanische Kultur vermeidet die Konfrontation: ein «guter Mensch» wird nicht persönliche Wünsche oder Ansichten ausdrücken (Konzept des enryo). Man fragt dementsprechend auch nicht «direkt» nach den Wünschen oder Bedürfnissen eines anderen, enryo lässt sich nach A. Wierzbicka so paraphrasieren:

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  • X denkt: ich kann nicht zu dieser Person sagen: ich denke / möchte dies (nicht),
  • denn es könnte jemand deshalb etwas Schlechtes empfinden,
  • X sagt es deshalb nicht,
  • X tut deshalb manche Dinge nicht.

Im «Westen» entsteht ein Konflikt, wenn in die Autonomie der anderen Person eingegriffen wird. Deshalb wird der bloße Imperativ vermieden und stattdessen die Frage als Bitte gebraucht (s. o. 3.3.1). In Japan ist die Benutzung des umschriebenen Imperativs seltener; das Konzept der «autonomen Persönlichkeit» spielt keine solche Rolle. Das bedeutet freilich nicht, dass man einfach den bloßen Imperativ gebrauchen könnte. Stattdessen wird oft eine Einleitung gewählt («Ich bitte Sie, mich gut behandeln zu wollen»), die die eigene Abhängigkeit vom anderen vergegenwärtigen soll (Es ist eine Ehre als jemand angesprochen zu werden, von dem ein anderer abhängig ist):
  • A will, das B X tut.
  • A weiß, das B nicht verpflichtet ist, X zu tun.
  • A sagt: es wird gut für mich sein, wenn B X tut.
  • A denkt: deshalb wird B X tun.

«Erweisen Sie mir (bitte) die Gunst, das Fenster zuzumachen». Ein weiteres Beispiel für den Ausdruck der unterschiedlichen kulturellen Orientierung ist die Handhabung der Übernahme des Redebeitrags (turn taking: «ins Wort fallen»). Im Westen wird normalerweise abgewartet, bis der Vorredner seinen Beitrag beendet hat; es gilt also folgendes Modell:
  • jemand sagt gerade etwas
  • ich kann nicht etwas zur gleichen Zeit sagen.
  • Ich kann etwas danach sagen.

In Japan hingegen gilt eine Äußerung bis zu einem gewissen Grad als kollektives Werk von Sprecher und Kommunikationspartner, bzw. von verschiedenen Sprechern; Rollen von Sprecher und Hörer sind nicht völlig getrennt. Der japanische Ausdruck für diese Praxis lautet ai-zuchi («etwas gemeinsam tun» zwcki» «Hammer» also «gemeinsam hämmern» (geschieht nach Beobachtungen 12—26 mal pro Minute!). Der Sprecher lässt einen Teil des Satzes ungesagt, so dass der Hörer ihn vollenden kann. Immer jeden eigenen Satz bis zum Ende zu führen, gilt als unhöflich, denn man lässt den Anderen nicht an der Vollendung eines Satzes teilhaben, der vielleicht besser durch zwei Partner fertiggestellt würde. Modell:
  • ich will jetzt etwas sagen
  • ich denke, du weißt, was ich sagen will
  • ich denke, du würdest dasselbe sagen.
  • ich denke, ich kann einen Teil davon sagen, du kannst einen anderen Teil davon sagen.
  • ich denke, so ist es gut.

Es liegt auf der Hand, dass das «Nein-Sagen» mit besonderen Problemen behaftet ist. Im Westen wird der betreffende Sprechakt ggfs. etwas verlängert, um die «negative» Wirkung auf den Kommunikationspartner abzumildern. In Japan wird ein «Nein» nicht ausdrücklich formuliert. Stattdessen schweigt man eher...

FAZIT;

In fast allen Kulturen geht es darum, das Verhältnis zum Kommunikationspartner zu bestimmen; ihm ein positives Gefühl zu vermitteln, ohne sich selbst ihm völlig «auszuliefern». Völlig unterschiedlich sind jedoch die Wege, auf denen dieses Ziel erreicht werden soll.
  • Westen: ich habe die Freiheit, X zu sagen und zu tun... du auch (ich will deine Freiheit respektieren).
  • Japan: ich will deine Integrität nicht antasten (dich nicht verletzen) und erwarte von dir, dass du das auch nicht tust.

Unterschiedliche kulturelle Wertorientierungen schlagen sich mithin in den pragmatischen Regeln der Kommunikation nieder und lassen sich aus ihnen erkennen.